Dynamische Kernspinpolarisation (DNP)
Die Kernspinpolarisation
Der Kern-Zeeman-Effekt ist eine sehr schwache Wechselwirkung. Folglich sind auch die erzielten Energieaufspaltungen in technisch erreichbaren Magnetfeldern sehr klein. Dies hat mehrere Konsequenzen. Zum einen werden durch die große natürliche Lebensdauer des angeregten Spin-Zustandes lange Kohärenzzeiten und somit sehr schmale (homogene) Linienbreiten ermöglicht. Auf der anderen Seite führt der kleine Boltzmann-Faktor zu einer entsprechend kleinen Polarisation der Spin-Zustände. Diese Polarisation ist der relative Besetzungsunterschied zwischen dem energetischen Grundzustand und dem angeregten Zustand und limitiert dadurch zwingend die erreichbare NMR-Signalintensität eines Systems im thermischen Gleichgewicht. Zusammen mit der langsamen Rückkehr nach einer Anregung der Spins durch einen Radiofrequenzpuls zu diesem Gleichgewicht (Relaxation) ergeben sich sehr lange experimentelle Zeitspannen zur Aufnahme eines Spektrums mit hinreichendem Signal-zu-Rausch-Verhältnis.
DNP: Übertrag der Elektronenspin-Polarisation auf die Kernspins
Die thermische Spinpolarisation von ungepaarten Elektronen ist im Vergleich zu Kernspins um etwa 3 Größenordnungen höher. Durch die dynamische Kernspinpolarisation (DNP, engl. dynamic nuclear polarization), d.h. die Übertragung dieser Elektronenspin-Polarisation auf Kernspins, kann die NMR-Empfindlichkeit signifikant vergrößert werden. Für 1H beträgt der maximale Verstärkungsfaktor ca. 660, für andere Kernspins ist dieser entsprechend der gyromagnetischen Verhältnisse größer. Allerdings kommt es aufgrund von Relaxation und limitierter Effizienz der Übertragungsmechanismen zu Verlusten, so dass typischerweise Verstärkungsfaktoren im Bereich von 20–200 erreicht werden. Nichtsdestotrotz resultiert dies in einer Erhöhung der Empfindlichkeit um den Faktor 400–40,000!
DNP-Mechanismen
Im Festkörper können unterschiedliche DNP-Mechanismen auftreten: der Solid Effect (SE) und der Cross Effect (CE) sind die beiden relevantesten Mechanismen für MAS-NMR.
- Der Solid Effect ist der erste bekannteste DNP-Mechanismus in elektrisch nicht-leitfähigen (dielektrischen) Festkörpern und basiert auf der direkten Anregung von Null- bzw. Doppelquanten-Kohärenzen zwischen einem Elektronen- und einem Kernspin. Da diese nominell quantenmechanisch verboten sind, wird für deren Anregung ein sehr starkes Mikrowellenfeld benötigt; entsprechend ist die Effizienz des SE besonders bei hohen Magnetfeldern begrenzt. Trotzdem ist der SE aufgrund der geringen Komplexität des zugrundeliegenden Spinsystems ein wichtiger DNP-Mechanismus.
- Der Cross Effect ist sehr effizient und dadurch der häufigsten verwendete DNP-Mechanismus. Dabei kommen speziell maßgeschneiderte Polarisationsmittel zum Einsatz, die zwei ungepaarte Elektronen besitzen (schwach gekoppelte Biradikale). Dabei wird das EPR-Spektrum eines Radikalzentrums durch Mikrowellen gesättigt; durch die magnetische Kopplung der beiden Elektronenspins kann dann die Polarisation des zweiten Spins auf einen Kern übertragen werden. Dies geschieht besonders effizient unter MAS.
Polarisationsmittel
Der Spin ungepaarter Elektronen dient als Quelle der großen Polarisation, die bei DNP auf die Kernspins übertragen wird. Ungepaarte Elektronen sind allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen chemisch stabil. Dabei können z.B. sterische Hinderung oder mesomere Stabilisierung in persistenten Radikalen beitragen, oder die intrinsisch höhere Stabilität von unvollständig gefüllten, tiefliegenden Elektronenschalen wie z.B. in Übergangsmetallionen oder Lanthanoiden.
Für SE kommen einfache Radikale wie Trityl (Triarylmethyl) oder BDPA (1,3-Bisdiphenylen-2-phenylallyl) zum Einsatz. Alternativ können auch Metallkomplexe mit Gd3+ oder Mn2+ verwendet werden. Für CE werden Nitroxide, z.B. auf TEMPO-Basis [(2,2,6,6-Tetramethylpiperidin-1-yl)oxyl], zu dimeren verbrückt, oder mit Trityl bzw. BDPA zu heterodimeren Biradikalen verbunden. Durch unterschiedliche Derivatisierung kann dabei Löslichkeit in wässrigen oder organischen Lösungsmitteln erzielt werden.
MAS-DNP Hardware
Neben dem zentralen MAS-NMR-Spektrometer benötigt DNP folgende zusätzliche Komponenten: (1) Mikrowellenquelle, (2) DNP-Probenkopf, (3) Cryo-MAS-Wärmetauscher.
- Als Mikrowellenquelle kommt meist ein Gyrotron zum Einsatz. Hierbei handelt es sich um einen Zyklotron-Elektronenstrahl-MASER, der durch Injektion von beschleunigten Elektronen in ein Magnetfeld Strahlung mit Frequenzen von ca. 100–1000 GHz bei einer Mikrowellenleistung von bis zu ~100 Watt erzeugt. Diese Methode zur Herstellung von hochfrequenten Mikrowellenstrahlung solch hoher Leitung ist einzigartig und hat MAS-DNP in den 1990er-Jahren revolutioniert. Der erzeugte Mikrowellenstrahl wird durch einen übermodierten zirkularen Wellenleiter zum DNP-Probenkopf geleitet.
- Der DNP-Probenkopf basiert auf einem herkömmlichen MAS-NMR-Probenkopf, besitzt aber einige notwendige Modifikationen. Zum einem erlaubt der eingebaute Mikrowellenleiter die Bestrahlung der Probe und somit die Induktion der DNP-Mechanismen. Zum anderen muss aufgrund des Betriebs von MAS bei Temperaturen um –173 °C (100 K) eine thermische Isolation sowie einfache Methode zum Wechseln von Rotoren ohne Ausbauen des Probenkopfes gegeben sein. Die Abkühlung der Probe dient zum Ausfrieren der molekularen Bewegung und somit der Herstellung eines starren dipolaren Netzwerks zum effizienten Transport der Polarisation durch Spindiffusion; ebenso wird die Spinrelaxation zur Steigerung der DNP-Effizienz verlangsamt.
- Der Kryo-MAS-Wärmetauscher verwendet flüssigen Stickstoff bei einer Temperatur von –196 °C (77 K) zur Kühlung von gasförmigem Stickstoff; letzteres wird als MAS-Lager und -Antriebsgas verwendet wird. Hierdurch kann eine Verringerung der Probentemperatur auf bis unter –173 °C (100 K) erreicht werden.