Festkörper-NMR
Anisotropie von Wechselwirkungen
Relevante Wechselwirkungen in der NMR sind generell anisotrop. Das bedeutet, die Wechselwirkungsstärke hängt von der Orientierung zwischen dem externen Magnetfeld und der Umgebung des Kernspins, (z.B. des Moleküls oder Kristalls) ab. Daraus ergibt sich, dass sämtliche NMR-Wechselwirkungen prinzipiell als Tensor 2. Ranges beschrieben werden muss, der zwei vektorielle Größen (z.B. Spin-Moment und externes Magnetfeld oder zwei Spin-Momente) miteinander in Bezug bringt.
Kleinere Moleküle können in Lösungen typischerweise durch die Brownsche Molekularbewegung relativ schnell taumeln, so dass alle möglichen Orientierungen effizient gemittelt werden. Dabei werden einige Wechselwirkungen auf einen orientierungsunabhängigen (isotropen) Mittelwert reduziert (z.B. chemische Verschiebung, J-Kopplung); dieser isotrope Wert entspricht der skalaren Spur des Wechselwirkungstensors. Andere Wechselwirkungen (z.B. dipolare Spin-Spin-Kopplung, evtl. quadrupolare Wechselwirkung) verschwinden, da der jeweilige Tensor spurlos ist.
Einkristalle und Pulverspektren in Festkörpern
In sehr großen Makromolekülen/Polymeren, hochviskosen/erstarrten Flüssigkeiten oder in (poly-)kristallinen/amorphen Festkörpern ist das molekulare Taumeln hinreichend verlangsamt. Dadurch werden die anisotropen Wechselwirkungen nicht gemittelt. In einkristallinen Proben führt dies zu einer Verschiebung der (meist relativ schmalen) Resonanzlinien bei Drehung des makroskopischen Kristalls im Magnetfeld. Durch kontrollierte Ausrichtung (z.B. mithilfe eines Goniometers) können so die Wechselwirkungstensoren ermittelt und sogar mit den Kristallachsen korreliert werden.
Im Falle von polykristallinen oder amorphen Proben kommt es zu einer Überlagerung aller möglicher Orientierungen gleichzeitig. Hierdurch kommt es zur (inhomogenen) Verbreiterung der Resonanzen und zur Ausbildung eines sogenannten Pulverspektrums. Die Einhüllende jeder Resonanzlinie beschreibt hierbei den gewichteten spektralen Bereich, der im Einkristall bei Drehung um jede Achse erreicht worden wäre. Allerdings kommt es häufig zur Überlagerung unterschiedlicher Kernspin-Resonanzen, ebenso ist keine direkte Korrelation zwischen Molekül-Koordinatensystem und Kristallachsen-System möglich; Informationen zu Betrag und Orientierung der Tensorelemente lassen sich allerdings durch komplexere Experimente sowie spektrale Simulation gewinnen.
Di- und quadrupolare Wechselwirkungen
Ein weiterer wichtiger Vorteil der NMR im Festkörper ist der direkte Einfluss von dipolaren Spin-Spin-Wechselwirkungen auf das erhaltene NMR-Spektrum. Im Gegensatz zur NMR in Lösung führen dipolare Kopplungen zur Aufspaltung von Resonanzlinien, was die direkte und modellfreie Messung von Abständen bzw. Winkeln zwischen Atomkernen mit einer prinzipiell sehr hohen Genauigkeit erlaubt. Ähnlicherweise erlaubt auch die Messung von quadrupolaren Aufspaltungsmustern einen Rückschluss auf Stärke und Orientierung eines elektrischen Feldgradienten am Ort eines hoch-spin-Kerns. So lassen sich z.B. der Einfluss von Elektronenpaarbindungen oder Wasserstoffbrücken direkt nachweisen und quantifizieren.
Allerdings kommt diese Fülle von zusätzlich wirkenden Kopplungen im Vergleich zur NMR in Lösung auch mit entsprechenden Nachteilen. Die Überlagerung der Resonanzlinien von typischerweise Hunderten bis Tausenden von unterschiedlichen Atomkernen innerhalb eines Probensystems führt zur starken spektralen Überlappung. Ebenso kommt es unter anderem durch die dipolaren Kopplungen zur starken Reduktion der Lebensdauer von Spin-Kohärenzen, was sich in größerer (homogener) Linienbreite widerspiegelt.