Magic-Angle Spinning (MAS)

Der „magische Winkel“

Anisotrope Wechselwirkungen in der NMR folgen den Kugelflächenfunktionen. Eine besondere Rolle kommt hierbei dem zweiten Legendre-Polynom P2(x)=0.5·(3x2–1) zu, wobei x dem Kosinus des Winkels zum externen Magnetfeld entspricht. Dieses beschreibt die Winkelabhängigkeit der wichtigsten di- und quadrupolaren Kopplungen sowie der Anisotropie der chemischen Verschiebung. Daraus folgt, dass die Wechselwirkung bzw. der anisotrope Beitrag verschwinden, wenn der entsprechende Winkel genau dem magischen Winkel von 54.736° entspricht. Orientiert man z.B. die Verbindungsachse zweier gekoppelter Kernspins genau in diesem Winkel zum externen Magnetfeld, hat diese Kopplung keinen Einfluss auf das Festkörper-NMR-Spektrum!

Entkopplung durch Rotation um den magischen Winkel

Besonders in polykristallinen oder amorphen Proben ist diese einzigartige Orientierung natürlich nicht möglich, da die einzelnen Kristallite bzw. Moleküle ungeordnet sind. Daher rotiert man die Probe mit hoher Umdrehungsfrequenz um eine Achse, die im magischen Winkel zum Magnetfeld ausgerichtet ist. Ist die Rotationsfrequenz groß genug, werden alle winkelabhängigen Wechselwirkungen orthogonal zur Rotationsachse gemittelt und lediglich die Projektion der Wechselwirkung auf diese Achse verbleibt. Für alle Wechselwirkungen, die dem 2. Legendre-Polynom folgen, entspricht dies einer vollständigen Entfernung der Kopplung bzw. Anisotropie.

Ein analoges Bild ergibt sich durch Veranschaulichung der Rotationsachse im magischen Winkel als Raumdiagonale eines Würfels. Rotiert man den Würfel um diese Diagonale, werden alle drei orthogonale Raumachsen gleichermaßen nacheinander aufeinander abgebildet. Dadurch kommt es effektiv zur Mittelung aller Wechselwirkungen, die linear (d.h. in erster Ordnung) von den Koordinaten auf der entsprechenden Einheitskugel abhängen.

Benötigte MAS-Frequenzen

Zur effektiven Ausmittelung der anisotropen Wechselwirkungen werden Rotationsfrequenzen benötigt, die mindestens dem Betrag der entsprechenden Anisotropie entspricht; zur vollständigen Entfernung deren Auswirkungen sogar ein Vielfaches. So erfordert die Entkopplung einer dipolaren Wechselwirkung zwischen zwei direkt gebunden 13C-Kernen mit einem Abstand von 154 pm eine Rotationsfrequenz, die die Dipolkopplungskonstante von ca. 2 kHz um ein Vielfaches übersteigt. Für direkt an 13C gebundene 1H-Kerne beträgt die Kopplungskonstante etwa 22 kHz; deshalb kommt meist neben MAS zusätzlich heteronukleare Entkopplungssequenzen mithilfe von Radiofrequenzpulsen zur Anwendung. Für zwei direkt benachbarte Methylen-Protonen mit einem Abstand von etwa 180 pm liegt die Kopplungsstärke in einem ähnlichen Bereich; da es sich hierbei allerdings um eine homonukleare Kopplung handelt, kann diese praktisch ausschließlich mit extrem hohen Rotationsfrequenzen bis zu den (kommerziell) technisch erreichbaren 110 kHz unterdrückt werden. Zur gezielten Wiedereinführung der dipolaren Wechselwirkungen (Rückkopplung) für die Messung von Abständen und Winkeln können bestimmte Pulssequenzen angewendet werden.

Ist die MAS-Frequenz kleiner als Größe der Anisotropie kommt es zur nicht-vollständigen Ausmittelung der Wechselwirkung. Durch die Entwicklung der transversalen Magnetisierung während des Zerfalls der freien Induktion (FID, free induction decay) aufgrund der modulierten Wechselwirkung während der Rotation wird deren Dephasierung periodisch refokussiert und es kommt zur Ausbildung von Rotationsechos nach jedem vollständigen Umlauf des Rotors. Nach der Fourier-Transformation des FIDs manifestieren sich diese periodischen Echos als Rotationsseitenbanden in gleichmäßigem Abstand der MAS-Frequenz. Da das Integral unter der gesamten Resonanz inklusive Seitenbanden erhalten bleibt, führt somit eine Erhöhung der MAS-Frequenz nicht nur zur besseren spektralen Trennung der Seitenbanden von der Zentralbande (welche bei der isotropen Resonanzfrequenz auftritt), sondern auch zur Erhöhung der Empfindlichkeit durch Reduktion der Anzahl und Intensität der Seitenbanden.

MAS-Hardware

Zur technischen Implementierung von MAS mit Rotationsfrequenzen von 110 kHz und höher kommen heutzutage moderne Stator-Rotor-Systeme zum Einsatz. Der Stator ist als Teil des NMR-Probenkopfes im magischen Winkel innerhalb der Magnetbohrung ausgerichtet und besteht neben dem Gehäuse aus Lagern, Strömungslenkern, und Antriebseinheit. Zur Lagerung wird ein radialer Luft- bzw. Stickstoffstrom verwendet, der aus Düsen in den Zwischenraum zwischen die Lager und die Außenwand des Rotors eingebracht wird. Gleichzeitig wird der somit kontaktfrei gelagerte Rotor mithilfe einer Turbine und einem tangentialen Antriebsstrom zur Rotation gebracht. Zur Kontrolle des Gasstroms von den Lagern zum Auslass und zur Vermeidung von Turbulenzen kommen Prallwände zum Einsatz.

Als Rotor-Material kommt hauptsächlich keramisches Zirkoniumdioxid (ZrO2) zum Einsatz, was durch seine hohe Härte den extremen Zentrifugalkräften während der Rotation widerstehen kann und trotzdem einfach zu Verarbeiten ist. Alternativ dazu kann ein Rotor aus synthetischem (einkristallinen) Saphir (Al2O3) verwendet werden. Dieser ist zwar härter, aber auch spröder als ZrO2, was die Gefahr des plötzlichen Verlusts der strukturellen Integrität (d.h. mechanische Explosion) des Rotors erhöht. Dafür ist Saphir im Vergleich zu ZrO2 transparent in einem weiten Frequenzbereich, was die gleichzeitige Bestrahlung mit z.B. Licht oder Mikrowellen während MAS-NMR ermöglicht.

Der Durchmesser des Rotors limitiert in direkter Weise die maximale Rotationsfrequenz. Dies ist zum einen durch Abhängigkeit der Zentrifugalkraft auf den Durchmesser zurückzuführen. Zum anderen muss neben dieser mechanischen Komponente aber auch beachtet werden, dass die Tangentialgeschwindigkeit der Rotorwand sich in Bereichen der Schallgeschwindigkeit des lagernden und antreibenden Mediums bewegen kann. Dies begrenzt zusätzlich die maximale Rotationsfrequenz, besonders wenn die Probentemperatur durch Kühlung der MAS-Gasströme realisiert wird. Heutzutage kommen typischerweise Rotoren mit einem Durchmesser zwischen 7 mm (max. 7 kHz) und 0,7 mm (max. 110 kHz) zum Einsatz. Beliebte Werte sind u.a. 4 mm (15 kHz), 3.2 mm (25 kHz), 1.9 mm (40 kHz) und 1.3 mm (67 kHz).